Tablet-Publishing

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23. November 2011

Gebt dem Leser, was dem Leser gebührt

Wenn wir nach Amerika blicken, mag uns die Marktdurchdringung mit Tablets nur 18 Monate nach dem Verkaufsstart des iPads optimistisch stimmen: Nicht nur, dass 11% der US-Amerikaner bereits ein Tablet besitzen, über 50 Prozent der Tablet-Nutzer besuchen täglich News-Seiten. 14% der Tablet-Nutzer sind der Untersuchung zufolge bereit, für Nachrichten auf dem Tablet Geld zu bezahlen. Weitere 23 % beziehen in Print eine Zeitung oder eine Zeitschrift, dessen Abo eine digitale Ausgabe inkludiert. (Quelle: The Tablet Revolution). Kaum eine Technologie verbreite sich, so das Fazit der Studie, so rasant, wie die der Tablets. Und damit erschließe sich auch den Verlagshäusern eine völlig neue Plattform, um ihre Zielgruppe zu adressieren und Erlöse zu generieren.

Daily News Users Tablet

Das gelte auch für den deutschen Markt, so die internationale Managementberatung Oliver Wyman: Zeitungen und Zeitschriften im elektronischen Format seien hierzulande für die Verlagsbranche die letzte Chance, ihre Kernkompetenzen in die digitale Welt zu retten. Einerseits stünden endlich die erforderlichen Endgeräte zur Verfügung. Und mit der richtigen Preisgestaltung, attraktiven Abo- und Bundle-Modelle, sowie der Angebotspalette durch digitale Kioske sei in den kommenden Jahren ein explosives Wachstum möglich. Das Best-Case-Szenario, das Oliver Wyman im Rahmen der Medientage in München zeichnete, geht davon aus, dass der Umsatz mit Zeitschriften- und Zeitungs-Apps in Deutschland von derzeit 37 Millionen Euro auf bis zu 1,6 Milliarden Euro im Jahr 2015 zulegen wird.

Jüngere Nachrichten werden die Tablet-Publishing-Euphorie noch anschüren: Anfang Oktober 2011 gelauncht, sorge Apple Newsstand schon für einen regelrechten Boom im digitalen Zeitschriftenmarkt. Von einer positiven Entwicklung beim Abschluss von Digitalabos und dem Kauf von digitalen Einzelexemplaren können gleich zwei Verlage berichten: Condé Nast gibt eine Steigerung der digitalen Aboverkäufe um 268% und der Einzelverkäufe um 142% bekannt. Und auch bei Hearst habe man mit digitalen Verkäufen die 300.000-er Marke geknackt. John Loughlin, Chef der Hearst Magazine gegenüber paidcontent.org am 25. Oktober 2011: »Tablets were an experiment 12 months ago; today it qualifies as a business. […] It is a consumer-driven business, however, not an advertising business, though there is clear interest and incremental revenue that’s growing consistently.«

Quality sells

Eine Studie von McPheters & Company's iMonitor sieht die Qualität der Inhalte als Hauptfaktor für den Erfolg digitaler Verlagsangebote an. Dazu wurden etwa 3.000 Apps aus Verlagshäusern unter die Lupe genommen. McPheters & Company beurteilte dabei jedoch nicht die inhaltliche Qualität, sondern vielmehr die Qualität der Apps, die Art und Weise, wie die Angebote der Verlagshäuser für das Tablet aufbereitet wurden: »So apps are competing not only with other apps, but websites, games and news applications that are not publication-related. And to compete effectively they need to provide a high quality of experience.«, so Rebecca McPheters, CEO at McPheters & Co. Es reiche einfach nicht (mehr), bestehende Printprodukte auf’s iPad zu spielen.

Richtig publizieren

Aber wie sieht eine adäquate Übertragung der Printinhalte für’s Tablet aus?

»Das Internet ist ein Fluß und die ZEIT das Ufer«, so Giovanni di Lorenzo über die Positionierung der ZEIT. Den Machern der ZEIT ist es gelungen, das Qualitätsversprechen der ZEIT auf das Tablet zu übertragen: Hier geht es nicht nur um die journalistische Qualität, sondern auch um ansprechendes Layout mit schöner Typographie, akzentuierten Weißräumen, attraktiver und doch selektiver Bildsprache. Garanten für genussvolle Leselust.

»Eine App ist wie gemacht für eine periodische Erscheinungsweise, das Produkt hat einen Anfang und ein Ende und für dieses Bundle ist deshalb die Zahlungsbereitschaft der Leser auch höher als bei der Website.« so Christian Röpke, Geschäftsführer von ZEITonline.de im Interview mit Volker Schütz, Chefredakteur der Horizont.net am 5. August 2011.

Diese Umsetzungsweise lässt sich aber nicht auf alle Medienformate, auf alle Zeitschriften, Zeitungen und Bücher übertragen. Die Lesegewohnheit eines ZEIT-Lesers ist eine andere, als die eines Lesers einer boulevardesquen Tageszeitung oder eines Livestyle-Magazins. Nehmen wir den Bereich der Bücher, oder gar Ratgeber, so wird ein Nutzer einer App für eine bloße Adaption der redaktionellen Inhalte nur ein müdes Lächeln übrig haben.

Das Pilzbestimmungsbuch zum Beispiel, das wir in der Vergangenheit noch auf unsere Streifzüge durch den herbstlichen Wald in der Tasche trugen, um den guten Speisepilz von seinem ungenießbaren Verwandten unterscheiden zu können, wird zukünftig durch eine Bilderkennungs-App ersetzt werden. Ein Foto des Pilzes und wir haben auch gleich den Link auf das schmackhafte Rezept oder die Telefonnummer der Giftzentrale eingeblendet. So werden sich uns Pflanzen- und Vogelarten anhand von Bild oder Stimme oder auch Restaurantempfehlungen anhand unseres Standorts rasch und unkompliziert erschließen.

Die Frage bleibt nur, wer hinter diesen Apps stehen wird: Werden dass die Verlage sein, die hier eine Chance wittern, ihre Inhalte noch in Zukunft zu verwerten, oder werden hier ganz neue Spieler Marktanteile besetzen? Mit dem Fokus auf die Nutzerprofile und die Aussicht auf attraktive Werbeeinnahmen? Damit wäre die App eine disruptive Technologie im angestammten Markt des Ratgeberverlages.

Beispiel Tourismus

Nehmen wir den Markt der Reiseliteratur: Bildbände, Reiseführer, Kartenmaterial, Wörterbücher. Der Reisende plante und buchte früher seine Reise »analog«. Er ging ins Reisebüro, erwarb Reiseführer, Kartenmaterial, dokumentierte seine Reise mittels analoger Fotografie, und lud schließlich seine Freunde zur gemeinsamen Diashow ein, oder reicherte sein Fotoalbum mit ergänzenden, redaktionellen Inhalten (Busticket, Postkarte, Museumsbillet etc.) an.

Inzwischen finden diese Tätigkeiten digital statt. Reiseempfehlung und Auswahl werden über Buchungsportale vorgenommen, die Reisenavigation erfolgt per GPS-Handy, Fotos werden digital geschossen gleich in sozialen Netzen veröffentlicht und so mit Freunden »geteilt«.

Zukünftig wird eine Plattform alle diese Leistungen zusammenführen. Planung und Buchung, Reisedurchführung (mit Anreicherung der Routen durch POI) samt Dokumentation (Upload der Inhalte ins Portal) und Nachbereitung (Ausgabe gegebenenfalls auch als personalisiertes und individuelles Fotobuch (und dafür wird Geld ausgegeben) in Print).

Der Verlag der Zukunft

Oben skizziertes Szenario trägt den Bedürfnissen der Nutzer und Leser, nicht aber den bestehenden Geschäftsmodellen der Verlage Rechnung. Redaktionelle Inhalte, hohe Qualitätsstandards, (noch eine) hohe Markenbekanntheit und lebendige Marktzugänge, das sind die Pfunde, die Verlage heute noch in die Waagschale des digitalen Geschäfts werfen können. Wenn die Inhalte dann auch noch medienneutral vorliegen, sind die Chancen für Verlage, schnell auf die Anforderungen des Marktes reagieren zu können, deutlich besser. Apps und mobile Devices wie Smartphones und Tablets können dabei als Hebel für zukünftige Geschäftsmodelle wirken. Treibend allein sind jedoch die Bedürfnisse der Leser und Nutzer: Gebt dem Leser, was dem Leser gebühret.

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